Mein Vater hatte bei seiner Tagesleistung natürlich einen exorbitant großen Kalorienverbrauch. Folglich war unser Kühlschrank immer gut gefüllt, die Mahlzeiten umfangreich und - heute würde man
sagen - schwer verdaulich, nämlich mit viel tierischem Fett, sprich Fleisch.
Vegetarisches kam ihm nicht auf den Teller. Vegetarisch war bei ihm ungefähr gleichbedeutend mit Salat, Reis und noch schlimmer: Käse. Das alles gehörte in die Kategorie „Weicheier“.
Es stapelten sich bei uns deshalb alle möglichen fleischhaltigen Speisen im Kühlschrank, große - und ich muss bis heute zugeben, sehr leckere - Würste reihten sich da aneinander. Mettwurst,
Leberwurst, Salami, geräucherter Schinken, roher Schinken, in schlechteren Stunden auch Blutwurst oder Sülze.
Käse, wenn meine Mutter denn überhaupt mal welchen kaufte, hatte ein Stockwerk tiefer zu stehen und durfte nicht mal in die Nähe des richtigen Essens kommen.
Aufschnitt, Würste und Fleisch am Stück wurden von meinem Vater in großen Mengen und zu jeder Tageszeit verspeist, gerne auch schon zum Frühstück, gerne auch mit weichgekochtem Gemüse. Kohlsorten
in allen Varianten standen hoch im Kurs - mir bis heute ein Graus ebenso wie alles wo hinten im Wort „kraut“ steht. Bohnen, Erbsen, Linsen, Kartoffeln, Aufschnitt in jeder Variante, nur eben
partout kein Käse. Ich glaube, Zeit seines Lebens ist ihm kein einziges noch so kleines Stückchen Käse über die Lippen gekommen, er verabscheute ihn in einfach in jeder Form. Und er hegte, wie
schon gesagt, auch eine gewisse Verachtung für Käse-Esser.
Wir haben uns in späteren Jahren immer wieder mal den Spaß gemacht, ihm irgendwo im Essen ein bisschen Käse unterzujubeln, aber dafür hatte er einen ganz besonders feinfühligen Sender. Selbst im
hohen Alter, in dem die Geruchs- und Geschmacksnerven ein bisschen unsensibler werden, konnte man ihn damit nicht überrumpeln.
Die weibliche Seite unserer Familie fand dieses Käsebashing immer sehr bedauerlich, denn wir mochten Käse sehr und hätten uns über eine weniger fleischlastige Ernährung prinzipiell sehr gefreut.
Aber da gab es wenig Spielraum, erst, als ich ausgezogen war und meinen eigenen Kühlschrank füllen konnte, tauchten ab sofort nie wieder „Krauts“ und „Kohls“ bei mir auf, sehr selten Fleisch,
aber Massen von Käse. Etwas konsterniert war ich, als mein inzwischen schon erwachsener Neffe auf die Bitte, drei Sorten Käse zu benennen, mit - der Enkel fällt offenbar direkt neben den Stamm:
„Junger Gouda, mittelalter Gouda, alter Gouda“ antwortete.