Sigrid - schon in jungen Jahren die perfekte Hausfrau

Damals, als es unsere Küche noch gab in unserem Haus und mein Vater sie noch nicht zugunsten eines großzügigeren Foyers eingerissen hatte - „Keine tragende Wand. Kann raus.“ - hatten wir Besuch von wichtigen Menschen. Ich kann mich nicht mehr ganz genau daran erinnern, wer das eigentlich war, ich muss so vier oder fünf gewesen sein, aber dass sie sehr wichtig waren in den Augen meiner Mutter, daran kann ich mich noch sehr gut erinnern. Sie kamen - falls meine Erinnerung mich hier auch nicht täuscht - umangekündigt, um unser noch recht neues Haus zu besichtigen, das mein Vater mit meinem Opa und dazugehörigen Verwandten und Freunden im Wesentlichen „in Eigenleistung“ gebaut hatte, etwas, worauf mein Vater bei all seinen Unternehmungen größten Wert legte.
Jedenfalls kamen diese Besucher, ein älteres Ehepaar, kurz nach dem Mittagessen. Mein Vater war schon wieder ins Büro gefahren, mein Bruder irgendwo, meine Mutter und ich also alleine. Es klingelte, und da standen sie und wollten endlich mal unser Haus anschauen, von dem sie schon so viel gehört hätten. Meiner Mutter muss es kalt in die Glieder gefahren sein, denn zu dieser Zeit galt ein penibel geführter Haushalt noch viel mehr als heute. Und das war etwas, worauf sie in der Regel nicht wirklich Lust hatte. Dementsprechend war sie mit dem Küchenputz noch etwas hinterher. Wir hatten uns die Zeit mit Lesen vertrieben. Und in unserer Küche stand folglich noch alles kunterbunt durcheinander, was vom Mittagessen und den Vorbereitungen dazu übrig war, insgesamt die Küche also in einem Zustand, der selbst für nicht so pingelige Geister eher unschön und wenig appetitlich war.  Meine Mutter beschwor also mich mit leisen Worten eindringlich - an ihre Not und die großen erschrockenen Augen kann ich mich noch sehr gut erinnern - , diesen Schweinestall, so gut es mir möglich wäre mit meinen fünf Jahren, irgendwie soweit in Ordnung zu bringen, dass sie nach einer Pause, in der sie das Besucherpaar im Wohnzimmer ablenken wollte, dann auch in die Küche führen könnte, ohne für immer und ewig als schmuddelige Hausfrau dazustehen.
Ich weiß nicht mehr genau, wie ich es angestellt habe. Aber ihr Auftrag war mir Befehl. Und so schob ich, während die drei im Wohnzimmer saßen und plauschten, alles, was da so im Wege stand, in die Schränke. Schmutzige Teller auf die Handtücher, dreckige Töpfe in das Geschirrfach, dreckiges Besteck zu den Gläsern, alle Schnippelreste in den Topfschrank. Es war eine Heidenarbeit. Aber irgendwann war es geschafft. Und eine Punktlandung, will ich meinen. Denn als ich mit vermeintlich entspanntem Gesichtsausdruck auf den Flur hinausschlenderte, hatten die drei sich gerade aufgemacht, ihren Gang durch das weitere Haus zu beginnen. Meine Mutter warf einen ängstlichen Blick auf mich und drückte mit noch ängstlicherem Gesicht die Klinke zur Küchentür -  und traute kaum ihren Augen, dass sie in eine, nun ja, perfekt aufgeräumte Hochglanzküche trat, in dem aber auch nicht der letzte Rest von menschlichen Leben, geschweige denn einem nicht weggeräumten Mittagessen, zu sehen war.

 

Ich glaube, sie konnte es wirklich nicht fassen, und wenn ich ehrlich bin, ich selber eigentlich auch nicht, was mir da gelungen war und ich doch was echt Gutes zustande gebracht hatte. Noch Tage später fielen meiner Mutter dann beim Arbeiten in der Küche aus den Schränken dreckige Teller entgegen, aus den Schubladen Besteck, Kartoffelschalen, Gemüseschalen und was man sonst für ein ordentliches Mittagessen für eine vierköpfige Familie braucht.