Abgeschossen oder: Marie ist (kurz mal) verliebt.


Mit all der Schinderei und Schufterei und Plackerei auf dem großen Hof als Landwirtschaftslehrling hatte Marie eigentlich genug um die Ohren. Trotzdem war - in dem jugendlichen Alter hat man ja auch oder gerade nach Feierabend viel Schwung für Dummheiten - auch noch Zeit, sich nebenbei das Leben zu versüßen und ein bisschen umzusehen. Ihr Blick fiel auf Rudi, genannt Rudi, der Recke, groß und stark, der junge Mann.

 Lauschige Sommernächte, viel Gelegenheit zum Grillen, Feiern und Knutschen. Kurzum: beste Gelegenheit für ein kleines aventure d’amour.

Für die nächsten Monate nutzte Marie also fortan jede Gelegenheit, sich nach Feierabend davonzustehlen, auf dem Motorroller mit dem Herzblatt an den nächsten Badesee zu flitzen und überhaupt die Gegend unsicher zu machen.
Es war ein wunderbarer Sommer. Aber auch der ging irgendwann zu Ende - und damit auch Maries Leidenschaft. Die Begeisterung, die anfangs den Angebeteten zu einem jugendlich schönen Adonis stilisiert hatte, wurde im niedersächsischen Nieselherbst langsam ein wenig trübe, ziemlich trübe. Im Grunde hatte Marie die Nase voll und beschloss, sich von Rudi zu trennen. Gesagt, getan. Unverblümt erklärte ihm Marie noch am selben Abend das Aus der Beziehung, ohne Aussicht auf spätere Neubewertung und Wiederaufleben der Liaison vielleicht im nächsten Sommer. Eine harte Entscheidung, knallhart mitgeteilt, was dem jungen Mann arg zu schaffen machte. Wochenlang setzte er Marie zu, die Entscheidung noch einmal zurückzunehmen, unternahm zig Anläufe, um sie zum Wiedereinlenken zu bewegen. Doch nichts half. Maries Entscheidung war und blieb unumstößlich.
Ganz, ganz langsam sickerte die Unumkehrbarkeit ihrer Entscheidung auch in …. Hirn. Schwer zu schlucken, schwer zu verdauen diese Kröte, eigentlich ganz und gar unverdaulich! Wirklich unerträglich, sich ein Leben fortan ohne die quirlige Marie vorzustellen. Und je weiter dieser Gedanke in seinem Kopf Raum gewann und sich so gar nicht wieder hinausdenken ließ, desto mehr verdichtete sich auch der Gedanke an Rache. Marie in Zukunft ohne ihn glücklich? Das durfte nicht sein! Die fixe Idee wuchs sich zu einer echten Besessenheit aus. Außer sich vor Wut beschloss …, seinen Gedanken Taten folgen zu lassen. Marie sollte sterben! Er schlich sich abends an den Hof bis vor das Fenster von Marie, zückte seine Flinte und schoss - durch das falsche Fenster, statt in das Schlafzimmerfenster von Marie direkt daneben durch das Badezimmerfenster von Bauer Herkules, und tat damit einen echten Schuss in den Ofen, nein, die Wanne, in der sich hier gerade eben dieser mit seiner stattlichen Größe von zwei Metern ein Schaumbad gönnte. Mit den ersten einschlagenden Schüssen krümmte sich der große Mann tief in den seifigen Wolken zu Embryonalform zusammen und überließ es der Polizei, den jungen Fanatiker zu stellen.