Guten-Morgen und Gute-Nacht-Geschichten

Zu meinen liebsten Erinnerungen als Kind gehört das Gluckern, wenn mein Vater - Achtung bitte an die ökologisch Bewussten - das Wasser für unseren Swimmingpool anstellte und man dem Plätschern schon morgens im Bett zuhören konnte und man wusste: Ein langer wunderbarer Sommer liegt vor einem.

Meine Eltern stammen aus einem sehr kleinen Dorf in Nordrhein-Westfalen, Ostwestfalen, um genau zu sein, und es ist so verwunschen dort, wie es klingt. Man könnte auch sagen, provinziell, aber immerhin hat selbst Annette von Droste-Hülshoff ihre Schritte mal hierher gelenkt. Doch dazu in einer anderen Geschichte. Eine andere sehr geliebte Erinnerung ist, dass meine Mutter früher meinem Bruder und mir abends zum Einschlafen Geschichten erzählt hat über das kleine Dorf, die skurrilen Gestalten und Erlebnisse dort und vor allem über meinen Vater, der in seiner Kindheit und Jugend ein echter Hallodri war. Mein Urgroßvater bezeichnete ihn in bestem Platt wohl immer als „ein bisschen lichte“, was so viel heißt, wie nicht ganz dicht im Kopf, ein bisschen irre. (Hier wurde ich von meinem Onkel streng korrigiert: "Lichte" heißt nicht irre, sondern leichtsinnig, was, wenn man es überlegt, ja auch noch treffender ist.) Dieses Irre, nein, Leichtsinnige empfand ich immer als eine beeindruckende Lebensfreude und Vitalität.  

Eine Geschichte ist mir ganz besonders hängengeblieben, als Kind hört man ja gerne Geschichten über die eigenen Eltern und wie sich alles so entwickelt hat. Jedenfalls erzählte meine Mutter eine Geschichte, die sie selbst betraf.  In B., dem Dörfchen, gab es  schon seit jeher eine Tradition. Sie bestand darin, dass in der Nacht vor einer Hochzeit, also pünktlichem Hochzeitsmorgen,  Sägespänespuren  verlegt wurden. Sie verwiesen auf die Verbindung des Bräutigams zu  - ja, seinen Verflossenen, ehemaligen Liebschaften. Üblicherweise beschränkten sich diese Spuren auf ein oder zwei, jedenfalls eine überschaubare Anzahl. Im Fall meines Vaters lag am Hochzeitsmorgen leider das ganze Dorf voll, Spuren aus Sägespänen in alle Richtungen, sehr viele und fast nicht mehr zählbar.
Meine Mutter scheint das mit Humor genommen zu haben, denn die Hochzeit fand wie geplant und pünktlich statt. Und wenn man den Bildern trauen darf, war es wohl eine sehr schöne und fröhliche Hochzeit.