Der Tag, an dem die Bullen kamen - oder: Der Donnerbalken

"Marie, lauf" schrie die Bäuerin aus dem Küchenfenster, wenn die Bullen wieder einmal ausgebrochen waren. Auf zwei Ställe verteilt gab es auf diesem Hof 50 Bullen, die jeweils im Herbst eines Jahres auf den Hof kamen, um dann im nächsten Frühjahr - etwas dicker - wieder verkauft zu werden. An sich nette und verträgliche Tiere, denen es aber aus irgendeinem Grund immer wieder zu langweilig im Stall wurden und die dann auf die Idee kamen, ihn auch zu verlassen. Ein einziger Bulle reichte, um alle anderen zu veranlassen, ihm und seiner dummen Idee hinterherzutraben.
Der Trick, dem Stall zu entkommen, war dabei durchaus bemerkenswert und zeugt durchaus von einiger Intelligenz und Strategie. Von wegen: Dumme Kuh oder vielmehr dummer Bulle. Sie mussten das Stalltor öffnen, indem sie einen Balken aus den Ösen hebelten. Erst dann konnten sie das Tor aufstoßen. Und aus dem Stall trabten sie dann kollektiv auf den Hof hinaus, einer nach dem anderen. Um zu verhindern, dass sie komplett vom Hof und damit auf die Straße liefen, hieß es dann: "Marie, lauf." Die Hoftore mussten in höchster Eile verschlossen werden. Und Marie, als junger Lehrling, musste dann einen kurzen, harten und durchaus nicht ungefährlichen Sprint anziehen, um vor den Bullen das Hoftor zu erreichen, die beiden riesigen Tore zuzuschlagen und wiederum einen großen hölzernen Riegel in die Scharniere zu legen. Das Sicherheitsfeature  - man könnte sagen: on top -  war Marie selber. Denn sobald der Riegel eingehängt war, musste sie sich selber auf den Riegel schwingen und mit dem eigenen Körpergewicht beschweren, um zu verhindern, dass die Bullen auch diesen Riegel wieder aushebelten. So dass dann Marie P. auf der einen Seite auf dem Balken hockte - die Bullen auf der anderen Seite gegen das Tor trampelten. Ein echter Donnerbalken.